Digitales Abo-Marketing mit Drive

Kress Pro: Herr Sauerer, die „Mittelbayerische Zeitung“ hat von Anfang an bei Drive mitgemacht. Was begeistert Sie so an dem Projekt?

Manfred Sauerer: Wir haben schon 2018 damit begonnen, bei uns im Haus eine Datenarchitektur aufzubauen, weil wir gesehen haben, dass wir mit Hilfe von Datenanalyse neue Umsätze auf dem Lesermarkt erzielen und Verluste im Print-Geschäfte ausgleichen können. Unser Vorhaben war, eines Tages neben den von der Redaktion kuratierten Inhalten personalisiert und passgenau Inhalte an bestimmte Zielgruppen ausspielen zu können. Als ich dann von der Idee hörte, mit Hilfe des Data-Science-Teams von Schickler Daten aus mehreren Häusern zu bündeln und deren Analysen allen zur Verfügung stehen, wollte ich gleich einsteigen. Drive ermöglicht uns, in einem viel größeren Teich nach Kunden zu fischen als bisher und unsere Erkenntnisse so zu verzigfachen.

Wie viel datenanalytische Kompetenz hatten Sie vor Drive im Haus?

Wir hatten das Glück, schon einen Datenanalysten im Haus zu haben. Wir selbst sind aber zu klein, um uns eine drei- bis fünfköpfige Data-Science-Abteilung leisten zu können.

Alle an Drive beteiligten Verlage sehen auch die Daten der anderen Verlage und kennen deren Performance. Bereitet Ihnen dieses hohe Maß an Transparenz manchmal Bauchschmerzen?

Überhaupt nicht! Uns würde es nicht einmal etwas ausmachen, wenn unmittelbar benachbarte Häuser sich an Drive beteiligen würden. Alle Regionalverlage haben das gemeinsame Interesse, auf dem Lesermarkt erfolgreich zu sein, unser gemeinsamer Gegner sind die großen Internet-Plattformen. Wenn wir uns gegenseitig helfen, profitieren wir alle davon.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Verlagen in der Praxis? Gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten?

Von Meinungsverschiedenheiten ist mir nichts bekannt. Im Gegenteil: Wir arbeiten zum Beispiel bei Experimenten sehr produktiv zusammen. Wir analysieren, welches Haus eine bestimmte Aufgabe am besten löst, so dass wir voneinander lernen können.

Welche Erkenntnisse hat Ihnen Drive bisher konkret gebracht?

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die sog. Media Time eine wichtige, vielleicht die wichtigste Währung für den Erfolg oder Misserfolg unserer Inhalte ist, also die Zeit, die ein Nutzer in den vergangenen sieben Tagen auf der Website oder in der App verbracht hat. Das ist eine gut verständliche Zahl, die man auf einem Dashbard den Redakteuren an die Hand geben kann, damit sie sehen, wie ihre Artikel performed haben. Auch die sogenannte Conversion Attribution ist sehr wichtig: Da wird gemessen, welche zehn Artikel der User gelesen hat, bis er schließlich ein Probe-Abo abgeschlossen hat. Es wäre zu kurz gesprungen, wenn man nur den jeweils letzten Artikel berücksichtigen würde. Dadurch kann man herausdestillieren, welche Themenwelten wie erfolgreich bei den Lesern sind. Spannend ist auch die Analyse von Nutzersegmenten. Sie hat ergeben, dass nur 5 Prozent der Nutzer loyal sind und dass es sinnvoll ist, sich vor allem um sie zu kümmern.

Wie schafft man es, aus solch recht abstrakten Erkenntnissen Konsequenzen für die redaktionelle Praxis zu abzuleiten?

Wir haben ein Conversion-Team, das Erkenntnisse aus dem Drive-Projekt in weiteren Runden an Entscheider wie die Lokalchefs oder die Digitalchefs unserer Lokalausgaben heranträgt. Die sprechen dann mit den Reportern. Wir wissen, dass viele unserer Inhalte nicht besonders erfolgreich sind, weil die Leser sie weder besonders lange lesen noch nach der Lektüre besonders viele Test-Abos abschließen. Aus Artikeln mit einer guten Performance haben wir aber bestimmte Bedürfniskategorien abgeleitet, die wir schon bei der Themenplanung berücksichtigen, um die Media Time zu erhöhen. Ein weiteres Beispiel für eine praktische Konsequenz ist ein neues Format, in dem wir abends zusammenfassen, was in der Region passiert ist. Damit haben wir auf die Feststellung reagiert, dass wir gegen 20 Uhr auf den mobilen Kanälen einen starken Nutzungs-Peak haben. Diese Übersichtsartikel haben wir ebenfalls analysiert. Sie erzielen eine doppelt so hohe Media Time wie andere Artikel, und die Zahl der Absprünge auf andere Beiträge hat sich verdreifacht. Gerade experimentieren wir mit unterschiedlichen Formen einer Tagesvorschau.

Wie intensiv arbeiten Sie mit dem Kennwert Media Time? Erfährt jeder Reporter, wie seine Artikel im Hinblick darauf abgeschnitten haben?

Wir haben vor Kurzem unsere bisherigen Dashboards für Reporter abgelöst durch ein Dashboard mit diesem Kennwert. Diejenigen, die für die Websites verantwortlich sind, bekommen darüber hinaus weitere Dashboards. Unsere digitale Transformation basiert nicht zu 100 Prozent auf Drive, Drive hat uns aber einen enormen Schub gegeben.

Drückt sich das in Zahlen aus?

Binnen eines Jahres ist die Zahl unserer Digital-Abonnenten von 7.500 auf knapp 12.000 gestiegen. Und die Zahl der reinen Plus-Abonnenten, also derjenigen, die nicht auch das E-Paper oder die gedruckte Zeitung abonniert haben, hat sich sogar mehr als verdoppelt: von 2.300 auf über 5.400. Dass Drive einen Anteil an diesem Wachstum hat, steht für mich fest.

An Drive beteiligen sich ausschließlich regionale Zeitungsverlage. Können nach Ihren bisherigen Analysen auch überregionale Inhalte zur Akquise und zur Bindung von Digital-Abonnenten beitragen?

Die dpa als einer der Initiatoren hat ein großes Interesse an solchen Fragestellungen. Wir haben schon verschiedene Ausspielsystematiken der dpa-Themenwelten getestet, die jeweils aus mehreren Artikeln bestehen, und festgestellt, dass sie gute Conversion-Vorbereiter sein können.

Welche Fragestellungen sollten nach Ihrem Wunsch bei Drive noch mit hoher Priorität aufgegriffen werden?

Eine grundsätzliche Fragestellung ist, ob wir auch die nächsten Generationen als Kunden gewinnen können. Bisher gehören ja noch nicht einmal die Millenials zu diesem Kreis, geschweige denn die „Generation Z“, also die etwa 20-Jährigen und jünger. Wenn die Verlage diese Gruppen nicht für sich gewinnen können, ist irgendwann Schicht im Schacht. Ich erhoffe von Drive, dass wir so gutes Datenmaterial bekommen, um die richtigen Schlüsse über diese Generationen ziehen zu können. Mit welchen Inhalten können wir Jüngere, die über soziale Netzwerke zu uns kommen, für uns gewinnen? Und wie können wir sie dazu bringen, dafür auch zu bezahlen? Für mich ist das total wichtig.

Vorheriger Beitrag
Wie Journalismus eine Zukunft hat